Am Mississippi • Der tiefe Süden
Die Fahrt führt vorbei an tropischen Pflanzen und Sumpfeichen, von denen grüne Moossträhnen herabhängen. Mit seinem Boot begleitet uns David Allemond, ein ortkundiger Führer durch die „Atchafalayas“, die märchenhafte Sumpflandschaft im Mündungsgebiet des Mississippi. Hier, am Ende des fast 3800 Kilometer langen Stroms, beginnt unsere Reise .
In den heißen Sümpfen von Louisiana, den "Swamps“, wimmelt es von Pelikanen, seltenen Seevögel und Alligatoren. Dazwischen ein paar versteckte Häuseroder Hausboote: Das ist die Heimat der „Akadier“, wie sich die Nachkommen französischer Einwanderer selber nennen.
Bis heute halten sie Kultur und Traditionen ihrer Vorfahren lebendig. Vor allem deren Musik, „Cajun“ und „Zydeko“ genannt. Von Samstag Morgen bis Sonntag Nacht wird in Orten wie dem „Cafe des Amis“ in Breaux Bridge getanzt, was das Zeug hält. Und überall weht der Duft von frisch zubereitetem „Crawfish“ durch die Lokale: Mit Chili gewürzte Flusskrebse, die heute zumeist in den Reisfeldern im Süden Louisianas gezüchtet werden.
Im Hafen von New Orleans legen nur noch selten Schaufelraddampfer wie die „Natchez“ ab. Doch „The Big Easy“ mit seinem Gewirr der Gassen und den reich verzierten Balkonen aus Schmiedeeisen hat kaum etwas von seiner Schönheit und seinem Charme verloren – trotz “Katarina”. In dieser Jahrhundert-Flut hat auch Kunstschmied Darryl Reeves fast alles verloren. Doch der Wiederaufbau und die Restaurierung seiner Heimatstadt sichert inzwischen ihm und vielen anderen Handwerkern eine neue Existenz.
Und noch immer hört man nach Einbruch der Dämmerung vor allem in Vororten wie Tremé unverfälschten Jazz. Wir begegnen Kermit Ruffins, einen der jungen Stars einer neuen Musikergeneration, bei seinem wöchentlichen Auftritt in einer versteckten, überfüllten Kneipe. An Orten wie diesem wurde vor hundert Jahren der Jazz geboren, hier ist er jung und aufregend geblieben.
Flussaufwärts lädt an vier Sonntagen im Oktober „Angola“ zum wildesten Rodeo in Amerikas Süden. Das Besondere: „Angola“ ist eines der größten Gefängnisse der USA, mit 5100 zumeist lebenslänglichen Insassen. Weit über 10.000 Besucher können sich an jedem dieser Wochenende scheinbar frei in dieser Stadt hinter Gittern bewegen. Gefangene wie Matthew Morgan verkaufen an Ständen, was sie in Angola hergestellt haben, und unterstützen so ihre Angehörigen draußen. Für die Männer in der gestreiften Kleidung wiegt der Kick, in der tosenden Arena wilde Bullen zu reiten das Risiko auf, sich hierbei alle Knochen zu brechen.
Kaum etwas steht mehr für den Geist des „tiefen Südens“ als die stattlichen Herrenhäuser aus der Zeit vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Wie Perlen an einer Schnur reihen sich entlang des Mississippi auf. Nur selten aber erinnern die prachtvollen „Plantations“ nicht nur an das Leben einer Scarlett O´Hara sondern auch an das Schicksal der Sklaven. Hinter der „Evergreen Plantation“ sind die Hütten der Sklaven und Plantagenarbeiter bis heute beinahe unverändert erhalten.
Anne Butler gehört zu den Wenigen, die auch noch heute auf dem Besitz ihrer Vorväter leben. Unter mächtigen alten Baumriesen ist die Zeit auf ihrer „Greenwood Plantation“ scheinbar stehen geblieben. Pfauen schreiten auf gepflegten Rasen, auf der mächtigen Veranda verbringen die Schriftstellerin und ihre Familie die Kühle des Abends in Schaukelstühlen. Drinnen bewachen die Gemälde der Ahnen das erlesene Mobiliar der Salons. „Ein solch altes Haus zu erhalten ist wie ein Fass ohne Boden“, sagt Anne Butler, „aber ich möchte nicht diejenige sein, die es aus den Händen der Familie gibt.“