Mao
ZDF, 2008, 45 Minuten
Buch und Regie: Peter Adler
Kamera: Anthony Miller
Schnitt: Bernhard Sehne
Er nannte sich »Großer Lehrer, großer Steuermann, großer Vorsitzender«: Beeindruckende, pathetische Farbfilmaufnahmen aus den späten 60er Jahren zeigen ihn inmitten jubelnder, fanatischer Jugendlicher. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Macht. »Mao war unser alles, er war die Rote Sonne in unserem Herzen«, erinnert sich die Bestseller-Autorin Jung Chang. Ihre Begeisterung für Mao Zedong teilte sie damals mit Millionen von Teenagern in China.
Doch auch im Westen war Mao eine Ikone der Jugendbewegung. Sein Poster wurde zum Symbol »für das Aufbegehren«, wie ehemalige Führer der Studentenbewegung, aber auch Liberale aus dem Westen bekennen. Was Maos Anhänger im Westen übersahen: Die »Mao Zedong-Ideen« beruhen auf einem System von Gehirnwäsche und Gewalt. Tausende junger Chinesen zitierten bei Massenaufmärschen von morgens bis abends Maos Leitsatz im Chor: »Revolution ist Gewalt«. Das Buch mit den kanonisierten Mao-Gedanken wurde zur »Bibel« einer roten Religion. Mao mobilisierte die Massen , und von keinem anderen Diktator ließen sie sich – auch das zeigen eindrucksvolle, erschütternde Bilder dieser Dokumentation – begeisterter zur Gewalt verführen. Denn Mao ließ den Terror gegen seine Gegner öffentlich ausüben. Keine Geheimpolizei, sondern Massenorganisationen wie die »Roten Garden« plünderten, demütigten, schlugen und mordeten in China in Maos Auftrag. Das unterscheidet Mao von Hitler und Stalin, sagt die Mao-Biografin Jung Chang im ZDF-Interview: »Mao machte das ganze Volk zu Mittätern und Komplizen.« Bei Massenexzessen zur Zeit der Kulturrevolution – von Mao entfesselt – starben in China fünf Millionen Menschen. Monströs ist die Zahl der Opfer, die Mao Zedongs Herrschaft nach jüngsten Schätzungen insgesamt forderte: 70 Millionen.
Geprägt hat Maos politische Biographie der Zerfall des einst mächtigen »Reichs der Mitte« zu Beginn des 20. Jahrhunderts. China wurde zum Schauplatz von Bürgerkriegen, fremde Mächte behandelten China wie eine Kolonie. Der Hass gegen die Bevormundung durch Ausländer prägte denjungen Mao und machten ihn zum glühenden Nationalisten und zum Mitglied der kleinen Kommunistischen Partei.
Als Revolutionär prägte ihn vor allem eine Reise durch seine Heimatprovinz Hunan. Dort wurde er Zeuge zahlreicher Bauernaufstände . Er war begeistert von der »Terroratmosphäre« – vor allem von der Brutalität der Aktionen: »Die Bauern schlagen ihre Feinde, die sie ausgesogen und geschunden haben, nieder. Was die Bauern da tun, ist absolut richtig, ihre Handlungen sind sehr gut.« Nicht die Arbeiter, so Maos politisches Credo, sondern die Bauern werden die Kommunisten an die Macht bringen. Darin wird er recht behalten.
Den »Langen Marsch« (1934-35) machte Mao zu Chinas Helden- und Gründungsmythos. Die ZDF-Dokumentation macht deutlich, dass viele der heroischen Geschichten reine Legende sind. Doch die opferreiche Flucht der Kommunisten durch ganz China (von 90.000 Rotarmisten überlebte nur jeder Zehnte!) verklären unzählige Propagandafilme bis heute – und sollen somit den Herrschaftsanspruch der KP legitimieren.
Von der offiziellen chinesischen Geschichtsschreibung weitgehend verschwiegen wird bis heute die Bilanz von Maos Diktatur in den Jahren von 1949 bis zu seinem Tod 1976. Beeindruckt vom Kult um Stalin kopierte er dessen System in China. Pausenlos hielt er sein Volk mit blutigen Kampagnen gegen »Feinde« und »Reaktionäre« in Atem.
Die »Entstalinisierung« durch Stalins Nachfolger Chruschtschow betrachtete Mao als tödliche Gefahr für seine Herrschaft. Vor allem deshalb wollte er Moskaus Führungsanspruch im sozialistischen Lager abschütteln, – mit Chinas »Großem Sprung nach vorn«. Quasi über Nacht wollte Mao China ab 1958 zur Industrienation, zur Weltmacht formen. Er propagierte utopische Ziele: Die Stahlproduktion sollte innerhalb eines Jahres verdoppelt werden. Volkskommunen verwandelten die Bauern in Rädchen einer riesigen Maschinerie. Durch »Volkshochöfen« sollte jeder Bauer gleichzeitig zum Stahlarbeiter werden. Die Folge: 40 Millionen Chinesen fielen einer Hungersnot zum Opfer, der schrecklichsten in der Geschichte der Menschheit.
Nach diesem Desaster musste sich Mao 1961 aus den Regierungsgeschäften zurückziehen. Der Mann, der dem Volk revolutionäre Leidensbereitschaft und Verzicht predigte, liebte den Müßiggang. Er schlief bis in die Mittagsstunden, tagelang verbrachte er im Bademantel. »Wie widerwärtig Mao war, zeigt sich darin, dass er extra jemanden hatte, der ihn mit Frauen versorgte«, erinnert sich Li Nanyang, die Tochter von Maos Sekretär im ZDF-Interview. Sex mit jungen Mädchen – so glaubte er – könnte sein Leben verlängern. Im Sommer 1966 proklamierte Mao den Auftakt zur »Kulturrevolution«. Geschickt machte der Diktator Chinas Jugend zu Verbündeten im Kampf gegen seine Gegner. »Rebellion ist gerechtfertigt«, ließ er verkünden. »Rote Garden« durften ihren Hass an allen auslassen, die sie für Maos Gegner hielten. Seinen Hauptgegner, Staatspräsident Liu Shaoqi, ließ er zu Tode foltern. Eindrücklicher als je zuvor verknüpfte Mao die Mobilisierung der Massen mit dem Terror. Er versteckte die Gewalt als Mittel der Politik nicht, er propagierte sie und ließ sie von den »Massen« ausüben. Maos »Rote Garden« durchkämmten die Straßen auf der Jagd nach angeblichen »Klassenfeinden« und machen dabei – so erinnert sich eine Rotgardistin – vor den eigenen Eltern nicht halt. Ein Klima entstand, in dem die Lynchjustiz einer missbrauchten Jugend an der Tagesordnung war.
Mit der »Kulturrevolution« stieß Mao eine Massenhysterie los, die zu einer barbarischen Zerstörungswut gegen Bildung, Kultur und alles, was an Geschichte erinnerte, geriet.
Am Ende seines Lebens traf Mao sich mit dem Erzfeind, dem US-Präsidenten Richard Nixon. Für seinen Kampf gegen den Kreml suchte sich der alternde Diktator neue Verbündete. Im Interview erinnert sich der frühere US-Außenminister Henry Kissinger an den Ausspruch Maos, er habe die Welt nicht verändern können. Eine ernüchternde Bilanz nach Jahrzehnten der Gewalt und des Terrors. »Er ist einer der Massenmörder der Geschichte«, urteilt Henry Kissinger. Als Mao am 9. September 1976 starb, nahm er den Maoismus mit ins Grab. Bis heute versucht die Kommunistische Partei Chinas eine Aufarbeitung der Herrschaft Mao Zedongs zu unterdrücken. Mit Gewalt –dieses Vermächtnis des Großen Vorsitzenden ist lebendig. Der düstere Schatten des Diktators liegt noch immer über dem bevölkerungsreichsten Land der Erde.
Zitate:
»Wenn der Vorsitzende Mao uns befohlen hätte, mordet, dann hätten wir gemordet. Hätte er befohlen, erklimmt Messerberge oder durchschreitet Feuermeere, wir hätten auch das getan. So stark war unser Glaube.«
Cai Yongmei, ehemalige Rotgardistin
»Mao Zedong war eine Pop Ikone.«
Karl Dietrich Wolff, Studentenführer 1968, heute Verleger
»Mao war extrem selbstsüchtig. Sein Land, seine Partei, seine Kollegen und seine Familie dienten nur seinen Interessen. Mao war verantwortlich für den Tod von über siebzig Millionen Chinesen in Friedenszeiten.«
Jung Chang, Tochter eines hohen Parteifunktionärs und heute Autorin des Bestsellers »Mao«
»Er war ein großer Propagandist. Er wusste, wie man komplizierte Probleme sehr einfach darstellen und lösen konnte.«
Sidney Rittenberg, Maos Englisch-Übersetzer
»Er wusste genau, wenn er pro tausend oder vielleicht pro zehntausend Menschen einen tötet, welche Terrorwirkung er damit erzielen würde.«
Zheng Yi, ehemaliger Rotgardist und heute Schriftsteller im Exil
»Mao war Chinas Lenin und Stalin. Er hatte die Revolution angeführt. Ohne ihn hätten seine Kollegen keine Macht, kein Ansehen, keine Privilegien. Deshalb war er unangreifbar.«
Roderick MacFarquhar, Mao-Experte (Harvard University, USA)
»Über unsere Generation kann man sagen, dass wir großgezogen worden sind von der Milch eines Wolfes.«
Song Yongyi, ehemaliger Rotgardist
»Ich war immer für Mao. Wir wurden ja auch so erzogen: Wer gegen Mao war, der war unser Todfeind. Da gab es überhaupt keine Diskussion.«
Li Nanyang, Tochter von Maos Sekretär
»Mein Eindruck von Mao war, dass er über einen analytischen Verstand verfügte wie kaum ein anderer Staatsmann, den ich getroffen habe. Unideologisch in der Außenpolitik, unsentimental, brutal, präzise und fähig, in großen Zusammenhängen zu denken.«
Henry Kissinger, ehemaliger US-Außenminister.
»Wir Chinesen müssen die 30jährige Katastrophe Mao Zedongs aufarbeiten. Sonst können wir nie aus seinem Schatten heraustreten. So wie die Russen sich mit Lenin und Stalin auseinandersetzen müssen und die Deutschen mit Hitler.«
Chen Yizi, Ehemaliger Parteifunktionär und heute Bürgerrechtler im Exil