Die Luftbrücke
Eine Dokumentation von Peter Adler mit Alexander Berkel und Stefan Mausbach
Leitung: Guido Knopp
Erstausstrahlung: Dienstag, 1.11.2005, 20.15 Uhr • ZDF
Am 24. Juni 1948 senkten sich rund um die West-Sektoren Berlins die Schlagbäume. Auf Befehl Stalins sollte der westliche Brückenkopf im sowjetischen Machtbereich ausgehungert werden. Würden sich die Westmächte dem Druck beugen und über zwei Millionen Menschen in der Metropole preisgeben? Die Antwort der Briten und Amerikaner war die größte humanitäre Rettungsaktion der Geschichte: Die Luftbrücke, die Versorgung von mehr als zwei Millionen Menschen aus der Luft. In diesen 322 Tagen der Belagerung Berlins wurden die besiegten Deutschen zu Partnern der Alliierten. Gemeinsam stoppte die neue Allianz Stalins Vormarsch in Europa. Der Preis dafür war die jahrzehntelange Teilung Deutschlands und seiner Hauptstadt Berlin.
Eine große, aufwändig produzierte Dokumentation lässt die Dramatik der Ereignisse lebendig werden. Im Zentrum stehen dabei die emotionalen Erinnerungen jener Menschen, deren Leben von der Luftbrücke entscheidend geprägt wurde: als frierende, hungernde und doch hoffende Zivilisten, als politische Akteure und Propagandisten auf beiden Seiten, als Piloten im Dauereinsatz, als unermüdliche Ladearbeiter, als Schmuggler und Blockadebrecher. Sie alle gerieten in den Strudel dramatischer Ereignisse - erlebten, wie der eskalierende Kalte Krieg in ihr Leben eingriff, im Westen und im Osten. Atmosphärische, packende szenische Rekonstruktionen verbinden sich mit den Erinnerungen zu einer dramaturgisch dichten Darstellung. Bislang ungezeigte Filmdokumente aus deutschen und amerikanischen Archiven sowie private Farbaufnahmen amerikanischer Piloten führen jenseits der bekannten Bilder in das Szenario eines bewegenden historischen Kapitels, dessen »Happy end« anfangs keineswegs absehbar war.
Die Luftbrücke«: Geschichte in Geschichten
»Es war eine Stimmung wie bei einer Sonnenfinsternis« erinnert sich der Berliner Gerhard Bürger an den Beginn der sowjetischen Abriegelung. »Die Angst, dass die westlichen Alliierten uns verlassen, dass wir den Russen in die Hände fallen würden, war unheimlich groß.« Doch wider die Argumente einiger Berater entschied US-Präsident Harry S. Truman klar: »Wir bleiben. Punkt!«. General Lucius D. Clay erhielt die Order, Berlin aus der Luft zu versorgen »wie eine belagerte Festung«. Der Militärgouverneur war davon überzeugt, dass die Sowjets wegen Berlin keinen Krieg beginnen würden, denn allein die USA hatten die Atombombe in der Hinterhand. Zudem war den westlichen Alliierten der freie Zugang nach Berlin auf dem Luftweg vertraglich zugesichert worden. Doch konnte eine Millionenstadt für Wochen, Monate aus der Luft versorgt werden? Noch nie war derartiges auch nur ansatzweise erwogen worden.
»Die Luftbrücke« zeigt als erste Dokumentation, wie Logistik- und Ernährungsspezialisten innerhalb weniger Tage präzise Pläne ausarbeiteten und aus dem anfangs improvisierten Unternehmen eine Operation wurde, die mit der Präzision eines Uhrwerks ablief.
Das »Soll« für die Versorgung der Stadt waren 5000 Tonnen täglich - das entsprach der Ladung von 330 Güterwaggons. Dazu musste alle drei Minuten eine Maschine auf einem der Berliner Flughäfen landen - unter der Leitung von US-General William Tunner bewiesen Amerikaner und Briten, dass dies möglich war. Die Piloten kamen mit ihren Maschinen aus aller Welt. Kaum in Deutschland gelandet, befanden sie sich im Dauereinsatz. Sie waren übermüdet, Flugzeuge stürzten ab. Augenzeugen schildern, wie es in ihrer Nähe, mitten in Berlin, zu einer Katastrophe kam.
Gail Halvorsen wurde als Pilot der Luftbrücke zur Legende. Er warf für die Kinder in Berlin Süßigkeiten an Fallschirmen ab. Der Film erzählt die Geschichte eines Mädchens, das »bei der wilden Jagd« immer leer ausging und deshalb Halvorsen einen Brief schickte. Der »Candy-Pilot« antwortete - per Post bekam Mercedes Wild Schokolade und aufmunternde Worte von ihrem »Schokoladenonkel«. Solche Gesten bestärkten die Berliner in ihrem Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Die Belagerer wurden derweil in frechen Liedern verspottet: »Man musste die Kommunisten mit Humor bekämpfen statt mit Bitterkeit«, erinnert sich die Kabarettistin Christine Ohlsen, damals die »Stimme Berlins« im RIAS: »Dann nahm man auch die Russen nicht mehr so ernst.«
Für den RIAS war Jürgen Graf als Reporter des Senders an den Brennpunkten des Geschehens, sein Sender wurde in jenen Tagen zum Sprachrohr für die Berliner. Wenn es wieder einmal keinen Strom gab, dann lieferten Graf und seine Kollegen den Berlinern die Informationen eben mit dem Lautsprecherwagen.
Zur Symbolfigur des Durchhaltewillens wurde in jenen Tagen Bürgermeister Ernst Reuter. »Ihr Völker der Welt! ... schaut auf diese Stadt« - Sätze, die legendär wurden. Als es nach der historischen Kundgebung vom 9. September vor dem Reichstag zu Demonstrationen am Brandenburger Tor kam, wurde Horst Stern - damals als FDJ-Mitglied in West-Berlin - Opfer einer Verwechslung. Im ZDF-Interview berichtet er, wie die Sowjets ausgerechnet ihn, den damals überzeugten Kommunisten, beschuldigten, die Rote Fahne vom Brandenburger Tor heruntergerissen zu haben. Das Urteil eines sowjetischen Militärgerichts lautete: 25 Jahre Zwangsarbeit. Erst Wochen später klärte sich der Irrtum auf.
Stalin hoffte im Herbst 1948, dass der bevorstehende Winter - bisher immer sein treuester Verbündeter - die Versorgungsflüge in die Stadt verhindern würde. Und wirklich: im November-Nebel kam an einigen Tagen der Flugverkehr fast zum Erliegen. Das Heizmaterial wurde knapp, die Bäume in den Alleen Berlins fielen der Blockade zum Opfer. »Man kann es sich gar nicht vorstellen, es war ja alles kalt. Ob sie mit dem Bus fuhren oder mit der Straßenbahn, es gab keine Heizung, keine Plätze um sich aufzuwärmen«, erinnert sich der Berliner Gerhard Bürger. Auch Nahrungsmittel fehlten.
Als Mahlzeit gab es Dörrobst, Brei aus Kartoffel- oder Eierpulver, dazu 15 Gramm Fett täglich. Günther Richardi, damals zehn Jahre alt: »Ich habe es nie geschafft, ein Brot nach Hause zu bringen, ohne dass ich es ein paar mal unterwegs angebissen hatte, so groß war der Kohldampf.« Der Bauernjunge Ernst Ruden schmuggelt zweimal pro Woche in seinem Schulranzen ein paar Briketts und etwas Lebensmittel aus der Sowjetzone zu den Verwandten im Westen Berlins - ein Akt des Widerstandes auch gegen die ungeliebten Besatzer.
Der Hunger - er gehörte zum Kalkül Stalins und der SED-Führung. Ihre Hoffnung war, dass die Berliner im Westen aus Verzweiflung die Seite wechseln, wie der damalige SED-Propagandist Gerhard Dengler im Interview eingesteht: »Wir haben immer erwartet, dass die Umstände, in denen sich die Westberliner befanden, sie zum Widerstand gegen die Politik der Westmächte ermutigt.«
Tatsächlich aber sahen sich im Westen Sieger und Besiegte immer mehr in einem Boot - in vielerlei Hinsicht: Der amerikanische Militärpolizist Sam Young verliebte sich in die Berlinerin Sybille Griese: »Es war eine schöne Zeit, aber es war auch eine ungewisse Zeit, denn Sam hätte ja jederzeit wieder zurück nach Amerika gehen können.« Sam aber meinte es ernst: »Ich beschloss, ihr die entscheidende Frage zu stellen - und sie sagte ‘ja’«. Beide leben heute in den USA.
Wie in den Tagen der Blockade aus einstigen Feinden Verbündete werden, erlebte besonders hautnah der einstige Luftwaffen-Mechaniker Walter Riggers auf dem Luftbrückenstützpunkt im niedersächsischen Fassberg.
Nach kurzer Zeit stieg er auf zum »Deck-Chief«, war verantwortlich für die Wartung der Motoren hunderter Flugzeuge. »Das kann ich bis heute noch nicht fassen« schwärmt Riggers, »denn das war erwiesenes Vertrauen«. Auch Pilot Halvorsen ist beeindruckt von den einstigen Luftwaffenleuten: »Those guys were good, Gutes Mannschaft«. Deutsche und Alliierte rücken zusammen - auch im engsten Wortsinn.
In Niedersachsen nutzten die Amerikaner zahlreiche Luftbrücken-Flugplätze - und in Celle und Umgebung beherbergten brave Bürger mehr als 2000 »Veronikas«, wie man damals die (meist käuflichen) Freundinnen der Amerikaner nannte. »Da zogen dann die Familien in einen Raum oder manchmal sogar in Keller und die oberen Zimmer waren vermietet«, zu gutem Geld, wie Ellen Schmandt, damals Polizistin, noch heute bemerkt. Kneipen und Geschäfte in der Region erleben ein kleines Wirtschaftswunder.
Und auch im sowjetisch besetzten Ostdeutschland fanden Deutsche und Amerikaner zueinander. Als bei der DC3 des US-Piloten Kenneth Slaker über Thüringen beide Motoren aussetzten, rettete er sich mit dem Fallschirm. Doch er fürchtete das Schlimmste, wenn er den Sowjets auf ihrem Gebiet in die Hände fallen sollte. Der Eisenacher Rudolf Schnabel verhalf ihm zur riskanten Flucht in den Westen. »Wenn er nicht gewesen wäre«, so Kenneth Slaker noch heute bewegt »säße ich heute nicht hier«.
Tragisch endete der Flug einer DC3 am 24. Januar 1949 von Berlin Gatow nach Lübeck. An Bord der Maschine wollten 22 Berliner die Stadt verlassen, auch Peter Zimmermann (damals 11 Jahre alt), seine jüngere Schwester und seine Mutter. Es sollte eine Familienzusammenführung werden, denn Peters Vater war aus Furcht vor den Russen schon vor der Blockade nach Westdeutschland übersiedelt. Doch die Maschine wird ihr Ziel nie erreichen: Bei schlechtem Wetter zerschellt sie in einem Wald bei Schattin (Mecklenburg). Peters Mutter und seine Schwester verbrennen im Wrack, der Junge überlebt wie durch ein Wunder, ebenso wie der Pilot Ervin Eddy. Beide werden in diesem Film zum ersten Mal über das traumatische Geschehen berichten.
Doch trotz der Tragödien: Die Luftbrücke wird zu einer Erfolgsgeschichte. Mit jedem Tag, an dem die alliierten Flugzeuge das Überleben der Stadt sicherten, stieg das internationale Ansehen der westlichen Alliierten - und Tag für Tag wuchs die Blamage der Sowjets. Stalin erkannte, dass er den Machtpoker um Berlin nicht gewinnen konnte. Am 19. Mai 1949 wurde die Blockade beendet. Dieser Tag ist in den Augen vieler Zeitzeugen noch immer ein persönlicher Freudentag: »Da ist mir klar geworden«, sagt Eberhard Schönknecht, damals Arbeiter am Flughafen, »was Freiheit bedeutet und was Freunde bedeuten.«
Es sollte nicht die einzige »Berlinkrise« während des Kalten Krieges bleiben, noch mehrmals würde Moskau den Status West-Berlins in Frage stellen. Für die künftige Haltung des Westens aber blieb der Standpunkt des damaligen US-Präsidenten Truman wegweisend: »Dass wir allen Widerständen zum Trotz in Berlin ausharrten, demonstrierte den Völkern Europas unseren Willen, gemeinschaftlich mit ihnen der Bedrohung ihrer Freiheit entgegenzutreten«.
Die ZDF-Produktion 'Die Luftbrücke' lief bisher zweimal nationwide auf PBS