"Wir wollten nur noch raus!" - Ein Dorf flieht in den Westen
Buch und Regie Peter Adler, Katrin Völker
Kamera: Tobias Albrecht • Ton: Udo Radek
Redaktion: Dr. Katja Wildermuth und Heribert Schneiders
Produktion: Martina Sprengel
Eine Produktion von doc.station im Auftrag des MDR
Am Abend des 2. Oktober 1961 fliehen 53 Bewohner eines Dorfes aus Thüringen in den Westen. Es ist die größte Flucht über die innerdeutsche Grenze nach dem Bau der Berliner Mauer. Insgesamt 14 Familien lassen alles zurück und riskieren ihr Leben, um dem streng kontrollierten und reglementierten Alltag im »Sperrgebiet« an der DDR-Grenze zu entgehen.
Nur wenige Wochen nach dem Bau der Mauer in Berlin begann die DDR-Führung, die Grenze zur Bundesrepublik hermetisch abzuschließen. Auch in der Nähe von Böseckendorf waren bereits die ersten Betonpfosten aufgestapelt. Gerüchte von unmittelbar bevorstehenden Zwangsaussiedlungen »negativer Elemente« kursierten. Mit Hilfe von Spitzeln stellte die Staatssicherheit »schwarze Listen« zusammen. Ganz oben auf den Doportationslisten stehen Bauern, die sich gegen die Errichtung der LPGs zur Wehr setzten. Wie überall im Eichsfeld weigerten sich auch die Bauern in Böseckendorf bis zuletzt, ihr Land und ihre Höfe kollektivieren zu lassen.
In ihrem Film rekonstruieren die Autoren Peter Adler und Katrin Völker die Geschichte dieser Flucht. Nach mehr als vierzig Jahren berichten die Organisatoren zum ersten Mal über das dramatische Geschehen, über die schwierigste Entscheidung ihres Lebens: Denn alles, was sie seit Generationen besaßen, müssen sie zurücklassen.
Zurück bleiben auch enge Familienangehörige und Freunde, die in der Heimat bleiben wollen. Erinnerungen an Momente des Abschieds, die auch heute noch schmerzen.
Nur wenige Stunden, bei einigen sogar nur Minuten bleiben zur Vorbereitung des riskanten Unternehmens. Die einsamen Entscheidungen treffen die Männer des Dorfes: Aus Angst vor einer »undichten Stelle« werden nicht einmal die Frauen in die Vorbereitungen eingeweiht. Es ist ein Wettlauf mit den allgegenwärtigen Horchern der Stasi.
»Wir hatten Angst, panische Angst«, so erinnert sich Maria Rhode an den nächtlichen Weg zur Grenze. Nur 1000 Meter waren es bis in den Westen, doch auch für die Soldaten in diesem Grenzabschnitt galt der Schießbefehl. »Wir machen ein Sieb daraus« so warnte der Kommandeur der Grenztruppen die Einwohner von Böseckendorf. Denn den Staatsorganen der DDR war nicht entgangen »dass in Böseckendorf was läuft«, wie sich einer der Grenzsoldaten erinnert.
Auf einem Gummiwagen unternehmen die ganz Alten und die Mütter mit den Kleinkindern die Reise in die Freiheit. Federbetten und Matratzen sollen als Kugelfang dienen. Die Grupppe bleibt unbemerkt - Dank »der Hilfe von oben«, so der frühere Dorfschmied Erich Schmalstieg. Für Grenzsoldat Friedrich Pfeiffer, der damals an diesem Grenzabschnitt Dienst tat, war es eine glückliche Fügung, dass in dieser Nacht die Waffen schwiegen..